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Home > Themen > Chinas Ministerpräsident Wen Jiabao besucht Deutschland
"Wir müssen die alten Vorurteile überwinden"
2011-06-27 15:00

Heute und morgen treffen sich China und Deutschland in Berlin zu den umfangreichsten politischen Gesprächen, die es je zwischen China und Deutschland gab. Einer meiner jungen Kollegen, der Chef des Deutschlandreferates, erzählte mir, dass sein Team die einseitige Berichterstattung in den deutschen Medien mit einer Wucht spürt, wie es sie nur selten gegeben habe. Dennoch würden sie die Regierungskonsultationen mit großer Zuversicht vorbereiten, denn sie sind überzeugt, dass Gespräche wie diese helfen, Vorurteile abzubauen.

Das hat mich beeindruckt. Denn die in einigen Fällen sehr ungerechte Berichterstattung über China, hat viele derjenigen von uns verletzt, die zum Teil seit Jahren an einer Verbesserung der Beziehungen zwischen den beiden Ländern arbeiten. Manche arrogante Vorwürfe schaden auch dem Image der westlischen Medien in China.

Aber, wenn ich die zuversichtlichen Gesichter der jungen chinesischen Diplomaten sehe, dann weiß ich: Trotz allem gibt es keinen Grund pessimistisch zu sein, bezüglich der Entwicklung der Beziehungen zwischen China und Deutschland. Wir arbeiten immer enger zusammen.

Während der Maifeiertage habe ich mir mit meiner Familie die deutsche Ausstellung zur Kunst der Aufklärung angeschaut. Sie wird derzeit im Nationalmuseum im Herzen Pekings gezeigt. Das Museum hat eine achtunggebietende Fassade. Innen wurde es jedoch gemeinsam von deutschen und chinesischen Architekten neu gestaltet. Es wirkt nun sehr erfrischend, modern und einladend. Als ich zwischen den Bildern und den Exponaten von Erfindungen herumgelaufen bin, manche von ihnen sind über 200 Jahre alt, musste ich unwillkürlich an die langen Jahrzehnte des Aufbruchs und der Industrialisierung Europas denken. Daran, durch welche Höhen und Tiefen Deutschland gehen musste, und was dies an Unruhen, Kriegen und Kolonisierung für andere Teile der Welt bedeutet hat. Mit Gewissenhaftigkeit, Klugheit und Fleiß hat Deutschland diese schwierigen Zeiten hinter sich gelassen und dieses hohe Niveau an Demokratie und Wohlstand erreicht.

Aber selbst wenn man einen bewährten Erfolgskurs fährt, gibt es stets etwas zu verbessern. Viele europäische Länder sind gegenwärtig in großen Schwierigkeiten und müssen nun über die eine oder andere Korrektur nachdenken.

China hingegen ist ein Spätentwickler unter den Nationen. Wir rauschen in wenigen Jahrzehnten durch Entwicklungen, für die andere Länder sich Jahrhundert Zeit lassen konnten. Wir versuchen, das Tempo ohne große Einbrüche zu halten und dabei internationale Konflikte und inländische Turbulenzen zu vermeiden. Nach 30 Jahren erfolgreicher Reformen und der Öffnung des Landes sind Stabilität und Wohlstand endlich nach China zurückgekehrt. Darauf bin ich stolz, denn das war nicht einfach.

Aber wir sind noch nicht am Ziel. Wir haben unsere Reformen erst zur Hälfte umgesetzt. Ein langer Weg liegt noch vor uns. Deng Xiaoping, der Ende der Siebziger Jahre den Reformkurs begründet hat, beschrieb den Verlauf unseres Weges mit den Worten, „Über den Fluss gelangen, indem man sich von Stein zu Stein tastet“. Wir können allerdings nur einen Schritt wagen, wenn der Stein groß genug ist und nicht wackelt.

Gleichzeitig jedoch werden die Menschen in China ungeduldig. Ihre Erwartungen steigen schnell. Die Kommunistische Partei und die Regierung bemühen sich, diesen Erwartungen zu entsprechen, ohne dabei jedoch auf wacklige Steine zu treten und etwa die Stabilität des Landes zu riskieren. Das genau ist das Ziel des gegenwärtigen Fünfjahresplans, der nun schon der zwölfte in Folge ist.

Die Kommunistische Partei Chinas mit ueber 80 Millionen Mitgliedern wird in Kuerze ihren 90. Gruendungstag feiern. Ein Anlass fuer uns mit Stolz auf die Erfolge zurueckzublicken. Erfolge, die die Kommunistische Partei Chinas nach Ueberwindung aller Schwierigkeiten und Haerten ueber Generationen hinweg errungen hat. Auch ein Augenblick, in dem man sich ueberlegen sollte, wie man mit der Zeit geht und der grossen Mehrheit des chinesischen Volkes besser dienen kann.

Die ausgewogene Politik des neuen Fuenfjahresplans schafft neue Spielräume nicht nur für China, sondern auch für Partner wie Deutschland, unseren führenden Handelspartner in Europa. Gemeinsam erwirtschafteten wir im vergangenen Jahr immerhin ein Handelsvolumen von knapp 100 Milliarden Euro, das ist ein Drittel des gesamten Handels zwischen China und Europa.

Deshalb ist es für beide Regierungen wichtig, sich zu treffen und gemeinsam zu überlegen, wie man enger zusammenarbeiten kann. Mehr als zehn Minister aus jedem Land werden unter der Leitung der Bundeskanzlerin und unseres Ministerpräsidenten direkt miteinander reden. Sie sprechen über die existierenden Bereiche der Zusammenarbeit ebenso wie über neue Themen wie E-Autos oder eine Gesundheitsreform. Wir freuen uns auf erfolgreiche Beratungen.

Aber es gibt natürlich auch Probleme in unseren Beziehungen, auch wenn ich glaube, dass sie nicht auf fundamental anderen Interessen beruhen. Die Probleme entstehen, weil wir uns zu wenig kennen und vertrauen. Das ist wohl eine Folge des Kalten Krieges. In diesen Zeiten war es für den Westen und die Sowjetunion unmöglich, gegenseitiges Vertrauen aufzubauen, weil sich beide Seiten als Feinde betrachteten. Das Verhältnis zwischen China und Europa ist heute jedoch ein völlig anderes. Wir sind eng miteinander verflochtene strategische Partner, die in vielen Bereichen immer enger zusammenarbeiten. Dennoch fallen manche Menschen in Deutschland immer wieder in dieses alte Denken zurück. Dabei geht es heute längst nicht mehr darum, dass der eine den anderen besiegt, auch wirtschaftlich nicht, sondern darum, wie wir zusammenarbeiten. In diesem Zusammenhang sollten beide Seiten allerdings akzeptieren, dass wir unterschiedlich sind und jeder seinen eigenen Weg in seinem eigenen Tempo gehen muss. Dennoch können wir in vielfältiger Weise voneinander profitieren.

Dass dies gar nicht so einfach ist, hat meine Tochter erlebt. Sie gehört zu der ersten Generation, die Hungerjahre in China nicht mehr erlebt hat, sondern nur den wachsenden Wohlstand durch unsere Reformpolitik. Sie kennt und liebt die westliche Kultur. Sie interessiert sich nicht sehr für Politik. Sie studierte Kunst. Doch ihr erstes Jahr an einer Universität in einem westlichen Land war sehr schwierig. Die verfälschende Berichterstattung in den westlichen Medien über Ereignisse und Vorgänge in China, die sie aus eigener Anschauung anders kannte, haben sie sehr verwirrt. Sie fragte mich immer wieder: „Warum wissen wir im Zeitalter der Informationstechnologie so viel über den Westen, aber die Westler so wenig über China? Warum berichten sie so einseitig? Warum kritisieren sie uns so schroff?“ Dieses Gefühl teilt fast jeder Chinese, wenn er im westlichen Ausland lebt. Auch ich habe mir oft Gedanken über die Ursachen für die negative Einseitigkeit der Medien gemacht, wenn sie über China berichten. Ein Grund dafür ist sicher, dass sich China lange gegenüber dem Westen isoliert hat. Das Informationsdefizit, das dadurch entstand, ist nie wirklich überwunden worden. Die überkommenen Stereotypen und Relikte der Vergangenheit sind leider noch Brutstätten von vielen Vorurteilen. Wir Chinesen müssen also auch lernen, uns der Welt gegenüber zu erklären und können nicht erwarten, dass der chinesische Weg sich von selbst erklärt.

Das ist nur einer der Punkte, in denen China noch viel besser werden sollte. Einfach ist das nicht. Zu lange haben wir nur mit uns selbst auseinandergesetzt. Und wir lernen langsamer als wir uns wünschen würden. Aber schon die nächste Generation wird dies viel besser können, als die, der ich angehöre.

(Die Autorin ist stellvertretende Außenministerin der Volksrepublik China. )

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